Merkmale von Märchen

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Merkmale von Märchen

Der Aufbau von Märchen

1

Die Bienenkönigin

von Wilhelm und Jacob Grimm

1 Zwei Königssöhne gingen einmal auf Abenteuerreise und2 gerieten in ein wildes, wüstes Leben, sodass sie gar3 nicht wieder nach Haus kamen. Ihr jüngster Bruder, der4 Dummling hieß, machte sich auf und suchte seine Brüder.5 Aber wie er sie endlich fand, verspotteten sie ihn,6 weil er sich mit seiner Einfalt durch die Welt schlagen7 wollte, wo sie zwei schon nicht durchkommen konnten,8 und waren sie doch viel klüger. 9 Sie zogen alle drei miteinander weiter und kamen an10 einen Ameisenhaufen. Die zwei Ältesten wollten ihn aufwühlen11 und sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen12 und ihre Eier forttrügen, aber der Dummling sagte: „Lasst13 die Tiere in Frieden, ich leid's nicht, dass ihr sie14 stört!“ 15 Da gingen sie weiter und kamen an einen See, auf dem16 schwammen viele, viele Enten. Die zwei Brüder wollten17 ein paar fangen und braten, aber der Dummling ließ es18 nicht zu und sprach: „Lasst die Tiere in Frieden, ich19 leid's nicht, dass ihr sie tötet!“ 20 Daraufhin kamen sie an ein Bienennest, darin war so21 viel Honig, dass er am Stamm herunterlief. Die zwei22 wollten Feuer unter den Baum legen und die Bienen ersticken,23 damit sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dummling24 hielt sie aber wieder ab und sprach: „Lasst die Tiere25 in Frieden, ich leid's nicht, dass ihr sie verbrennt!“ 26 Endlich kamen die drei Brüder in ein Schloss, in dessen27 Ställen lauter steinerne Pferde standen, auch war kein28 Mensch zu sehen. Sie gingen durch alle Ställe, bis sie29 vor eine Türe ganz am Ende kamen, davor hingen drei30 Schlösser. Mitten in der Türe war ein Fensterchen, dadurch31 konnte man in die Stube sehen. Da sahen sie ein graues32 Männchen, das an einem Tisch saß. Sie riefen es, einmal,33 zweimal, aber es hörte nicht. Endlich riefen sie zum34 dritten Mal; da stand es auf, öffnete die Schlösser35 und kam heraus. Es sprach aber kein Wort, sondern führte36 sie zu einem reich gedeckten Tisch. Als sie gegessen37 und getrunken hatten, brachte das Männchen einen jeden38 in sein eigenes Schlafgemach. 39 Am andern Morgen kam das graue Männchen zu dem Ältesten,40 winkte und leitete ihn zu einer steinernen Tafel. Darauf41 standen drei Aufgaben geschrieben, wodurch das Schloss42 erlöst werden könnte. Die erste war: In dem Wald unter43 dem Moos lagen die Perlen der Königstochter, tausend44 an der Zahl; die mussten gesucht werden, und wenn vor45 Sonnenuntergang noch eine einzige fehlte, so ward der,46 welcher gesucht hatte, zu Stein. Der Älteste ging hin47 und suchte den ganzen Tag. Als aber der Tag zu Ende48 war, hatte er erst hundert gefunden; es geschah, wie49 auf der Tafel stand: Er ward in Stein verwandelt. 50 Am folgenden Tage unternahm der zweite Bruder das51 Abenteuer. Es ging ihm aber nicht viel besser als dem52 ältesten, er fand nicht mehr als zweihundert Perlen53 und ward zu Stein. Endlich kam auch der Dummling an54 die Reihe und er suchte im Moos. Es war aber so schwer,55 die Perlen zu finden, und ging so langsam. Da setzte56 er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er so saß,57 kam der Ameisenkönig, dem er einmal das Leben erhalten58 hatte, mit fünftausend Ameisen, und es dauerte gar nicht59 lange, so hatten die kleinen Tiere die Perlen miteinander60 gefunden und auf einen Haufen getragen. 61 Die zweite Aufgabe aber war, den Schlüssel zu der62 Schlafkammer der Königstochter aus dem See zu holen.63 Wie der Dummling zum See kam, schwammen die Enten, die64 er einmal gerettet hatte, heran, tauchten unter und65 holten den Schlüssel aus der Tiefe. 66 Die dritte Aufgabe aber war die schwerste: Von den67 drei schlafenden Töchtern des Königs sollte die jüngste68 und die liebste herausgesucht werden. Sie glichen sich69 aber vollkommen und waren durch nichts verschieden,70 außer dass sie, bevor sie eingeschlafen waren, verschiedene71 Süßigkeiten gegessen hatten: Die älteste ein Stück Zucker,72 die zweite ein wenig Sirup, die jüngste einen Löffel73 Honig. Da kam die Bienenkönigin von den Bienen, die74 der Dummling vor dem Feuer geschützt hatte, und probierte75 am Mund von allen dreien. Zuletzt blieb sie auf dem76 Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so erkannte77 der Königssohn die Rechte. 78 Da war der Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf79 erlöst, und wer aus Stein war, erhielt seine menschliche80 Gestalt wieder. Und der Dummling vermählte sich mit81 der jüngsten und liebsten Tochter und ward König, seine82 zwei Brüder heirateten die beiden andern Schwestern.

Die Bienenkönigin

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1. Schritt
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2. Schritt

Ziehe alle Figuren, die im Märchen vorkommen, in den passenden Kasten.

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3. Schritt

Welche Aussage findest du im Text?
Wähle die richtige aus.

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4. Schritt

Ziehe die Aussagen auf die passende Textstelle.

§ Cc4
§ Cc4
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Beantworte die Fragen. 

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6. Schritt

Welche Aussagen treffen auf diesen Abschnitt zu?

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7. Schritt

Lies den Text. Beantworte dann die Fragen. 

§ Cc4
8. Schritt

Ziehe die Bilder in die Reihenfolge, in der sie im Text genannt werden.

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Welche Überschriften passen zu den Textstellen? Ziehe sie in den richtigen Kasten.

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10. Schritt

Lies beide Texte. Ziehe dann die Aussagen unter die richtige Textstelle. 

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11. Schritt
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12. Schritt
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Auswertung
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Wie kannst du den Text unterteilen?


Kannst du das Märchen und seine Handlung in vier Abschnitte unterteilen?
Überlegt in Partnerarbeit, wann ein neuer Abschnitt beginnen könnte.

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Wenn du die Abschnitte suchst, hilft es dir, den Inhalt kurz zusammenzufassen. 
Worum geht es? Was ist der Einstieg in das Märchen? 
Was verändert sich in der Handlung? 

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Arbeitsblatt/Tafelbild Aufbau des Märchens 'Die Bienenkönigin'

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4

Frau Holle

von Wilhelm und Jacob Grimm

1 Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, davon2 war die eine schön und fleißig, die andere hässlich3 und faul. Sie hatte aber die hässliche und faule, weil4 sie ihre leibliche Tochter war, viel lieber. 5 Die andere musste alle Arbeit tun und das Aschenputtel6 im Hause sein. Das arme Mädchen musste sich täglich7 auf die große Straße neben einem Brunnen setzen und8 so viel Garn spinnen, dass die Finger zu bluten begannen. 9 Nun trug es sich zu, dass die Garnspule einmal ganz10 blutig geworden war, da bückte das Mädchen sich damit11 in den Brunnen und wollte sie abwaschen. Aber die Spule12 fiel ihr aus der Hand und ins Wasser hinab. Das Mädchen13 weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück.14 Die Stiefmutter aber war unbarmherzig, schimpfte das15 Mädchen und sprach: „Hast du die Spule hinunterfallen16 lassen, so hol sie auch wieder herauf.“ Da ging das17 Mädchen zum Brunnen zurück, der tief und dunkel war.18 In seiner Verzweiflung und Angst sprang es in den Brunnen19 hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung,20 und als es wieder zu sich kam, war es auf einer schönen21 Wiese, wo die Sonne schien und Tausende Blumen standen. 22 Das Mädchen ging über die Wiese und kam zu einem Backofen,23 der war voller Brot. Das Brot aber rief: „Ach, zieh24 mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich. Ich bin25 schon längst ausgebacken.“ Da trat das Mädchen an den26 Ofen und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander27 heraus. 28 Danach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing29 voller Äpfel, und rief ihm zu: „Ach, schüttel mich,30 schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.“31 Da schüttelte es den Baum, dass die Äpfel fielen, als32 regneten sie, und schüttelte, bis keiner mehr oben war;33 und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte,34 ging es wieder weiter. 35 Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte36 eine alte Frau. Weil sie aber so große Zähne hatte,37 bekam das Mädchen Angst und wollte fortlaufen. Die alte38 Frau aber rief ihm nach: „Was fürchtest du dich, liebes39 Kind? Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich40 tun willst, so soll dir's gut gehn. Du musst nur achtgeben,41 dass du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst,42 dass die Federn fliegen. Dann schneit es in der Welt.43 Ich bin die Frau Holle.“ Weil die Alte ihm so gut zusprach,44 so fasste sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und45 begab sich in ihren Dienst. 46 Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit und47 schüttelte ihr die Bettdecke immer gewaltig, dass die48 Federn wie Schneeflocken umherflogen; dafür hatte es49 auch ein gutes Leben bei ihr, kein böses Wort und alle50 Tage gutes Essen. Nun war es eine Zeit lang bei der51 Frau Holle, da ward es traurig und merkte es, dass es52 Heimweh hatte, obwohl es ihm hier gleich vieltausendmal53 besser ging als zu Haus. 54 Das Mädchen sagte zu Frau Holle: „Ich habe Heimweh,55 und obwohl es mir so gut hier unten geht, so kann ich56 doch nicht länger bleiben, ich muss wieder hinauf zu57 den Meinigen.“ Die Frau Holle sagte: „Es gefällt mir,58 dass du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir59 so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder60 hinaufbringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und61 führte es vor ein großes Tor. Das Tor ward aufgetan,62 und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein63 gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen,64 sodass es über und über davon bedeckt war. „Das sollst65 du haben, weil du so fleißig gewesen bist“, sprach die66 Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm67 in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen,68 und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht69 weit von seiner Mutter Haus. 70 Als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen71 und rief: „Kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder72 hie.“ Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es73 so mit Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester74 gut aufgenommen. 75 Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und76 als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum77 gekommen war, wollte sie der andern, hässlichen und78 faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie79 musste sich an den Brunnen setzen und spinnen; und damit80 ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger81 und stieß sich die Hand in die Dornenhecke. Dann warf82 sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. 83 Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und84 ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen85 gelangte, schrie das Brot wieder: „Ach, zieh mich raus,86 zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst87 ausgebacken.“ Die Faule aber antwortete: „Ich hab keine88 Lust, mich schmutzig zu machen“, und ging fort. Bald89 kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach, schüttel mich,90 schüttel mich, wir Äpfel sind alle miteinander reif.“91 Sie antwortete aber: „Auf keinen Fall, es könnte mir92 einer auf den Kopf fallen“, und ging damit weiter. 93 Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie94 sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört95 hatte, und trat in ihren Dienst. Am ersten Tag bemühte96 sie sich und war fleißig, denn sie dachte an das viele97 Gold, das Frau Holle ihr schenken würde. Am zweiten98 Tag aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten99 noch mehr, da wollte sie morgens gar nicht aufstehen.100 Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie sie101 sollte, und schüttelte es nicht, dass die Federn aufflogen.102 Das ward die Frau Holle bald müde und kündigte ihr.103 Die Faule war damit zufrieden und meinte, nun würde104 der Goldregen kommen. Frau Holle führte sie auch zu105 dem Tor, als sie aber darunter stand, ward statt des106 Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das107 ist zur Belohnung deiner Dienste“, sagte Frau Holle108 und schloss das Tor zu. Da kam die Faule heim, aber109 sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem110 Brunnen rief: „Kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau111 ist wieder hie.“ Das Pech aber blieb fest an ihr hängen112 und wollte, solange sie lebte, nicht abgehen.

Frau Holle

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1. Schritt

Beschäftige dich zuerst damit, wie das Märchen „Frau Holle“ aufgebaut ist.

Aufbau des Märchens – Sortiere alle weißen Kästen zu den passenden Feldern.

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2. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Die beiden Märchen sind sehr ähnlich aufgebaut:
1. Ausgangssituation
2. Herausforderung und Bewältigung
3. Belohnung und Bestrafung

§ Cc4
3. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

In beiden Märchen wird das Gute belohnt.

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4. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Nur in einem Märchen kommt etwas Magisches vor.

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5. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Beide Märchen verwenden eine besondere Sprache, an der man Märchen erkennen kann.

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6. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Gegensätze in den beiden Märchen.
Ziehe die Wörter an die passenden Stellen.

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7. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Märchen verwenden häufig Magie oder übernatürliche Elemente. Wähle aus, wo es das in den beiden Märchen gibt.

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8. Schritt

Vergleiche nun die beiden Märchen „Frau Holle“ und „Die Bienenkönigin“.

Märchensprache verwendet häufig veraltete Ausdrücke oder Formeln und Verkleinerungen.
Klicke auf alle Wörter, die dazu gehören.

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9. Schritt
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10. Schritt

Ziehe die Wörter an die passende Stelle, damit ein Merksatz entsteht.

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11. Schritt

In Märchen tauchen viele magische Figuren oder Gegenstände auf. Was gehört dazu? Wähle aus.

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12. Schritt

Klicke auf die i-Symbole, um mehr Informationen zu erhalten. 

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Auswertung

Hier findest du das Arbeitsblatt zum Ausdrucken.

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Lösungsvorschlag

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Merkkasten

Merkmale von Märchen

Woran kann man erkennen, dass eine Geschichte ein Märchen ist? 

  • Aufbau: 1. Ausgangssituation, 2. Herausforderung/Aufgabe und Bewältigung, 3. Belohnung/Bestrafung 
  • Märchenfiguren sind eindeutig gut oder böse 
  • Gegensätze: schön – hässlich, arm – reich, ... 
  • Aufgaben werden oft mithilfe von Magie bewältigt 
  • häufige Zahlen: 3, 7, 12 
  • Das Gute gewinnt, das Böse wird bestraft 
  • Märchenton: veraltete Wörter und Wendungen (z. B. ward), formelhafte Sprache (Es war einmal) und Verkleinerungen (Fensterchen)

Zusatzangebot

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PD

Das Märchen „Der Bärenhäuter“ kam schon zu Beginn im Gedicht von Paul Maar vor. Es gehört nicht zu den bekanntesten Märchen, bietet aber eine gute Gelegenheit, mehr über die Vorstellungen der Menschen im Mittelalter zu lernen: Welche Rolle spielt der Teufel und die Angst vor der Hölle für die Menschen?

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Der Bärenhäuter

von Wilhelm und Jacob Grimm

1 Es war einmal ein junger Kerl, der ließ sich als Soldat2 anwerben, hielt sich tapfer und wurde ein guter Kämpfer.3 Solange der Krieg dauerte, ging alles gut, aber als4 Friede geschlossen war, wurde er entlassen und wusste5 nicht, wohin er gehen sollte. Seine Eltern waren tot,6 und er hatte keine Heimat und kein Geld. Er wanderte7 ziellos umher und kam auf eine große Heide, auf der8 nichts zu sehen war als ein Ring von Bäumen, darunter9 setzte er sich ganz traurig nieder und sann über sein10 Schicksal nach. „Ich habe kein Geld“, dachte er. „Ich11 habe nichts gelernt als das Kriegshandwerk, und jetzt,12 weil Friede geschlossen ist, brauchen sie mich nicht13 mehr; ich sehe schon, ich muss verhungern.“ Auf einmal14 hörte er ein Brausen, und wie er sich umblickte, stand15 ein unbekannter Mann vor ihm, der einen grünen Rock16 trug, recht stattlich aussah, aber einen garstigen Pferdefuß17 hatte.18 „Ich weiß schon, was dir fehlt“, sagte der Mann. „Geld19 sollst du haben, so viel du willst, aber ich muss zuvor20 wissen, ob du dich nicht fürchtest, damit ich mein Geld21 nicht umsonst ausgebe.“22 „Ein Soldat und Furcht, wie passt das zusammen?“, antwortete23 er. „Du kannst mich auf die Probe stellen.“24 „Wohlan!“, antwortete der Mann. „Schau hinter dich.“25 Der Soldat kehrte sich um und sah einen großen Bären,26 der ihn angreifen wollte. „Oho“, rief der Soldat, „Dich27 will ich an der Nase kitzeln, dass dir die Lust zum28 Brummen vergehen soll!“ Er legte an und erschoss den29 Bären.30 „Ich sehe wohl“, sagte der Fremde, „dass dir's an Mut31 nicht fehlt, aber es ist noch eine Bedingung dabei,32 die musst du erfüllen.“ „Wenn mir's an meiner Seligkeit33 nicht schadet“, antwortete der Soldat, der wohl merkte,34 wen er vor sich hatte, „sonst lass ich mich auf nichts35 ein.“36 „Das wirst du selber sehen!“, antwortete der Grünrock:37 „Du darfst in den nächsten sieben Jahren dich nicht38 waschen, dir Bart und Haare nicht kämmen, die Nägel39 nicht schneiden und kein Gebet sprechen. Und ich will40 dir einen Rock und Mantel geben, den musst du in dieser41 Zeit tragen. Stirbst du in diesen sieben Jahren, so42 bist du mein, bleibst du aber leben, so bist du frei43 und bist reich dazu für dein Lebtag.“44 Der Soldat dachte an seine große Not und da er schon45 so oft dem Tod entgangen war, wollte er es auch jetzt46 wagen und willigte ein. Der Teufel zog den grünen Rock47 aus, reichte ihn dem Soldaten hin und sagte: „Wenn du48 den Rock an deinem Leibe hast und in die Tasche greifst,49 so wirst du die Hand immer voll Geld haben.“ Dann zog50 er dem Bären die Haut ab und sagte: „Das soll dein Mantel51 sein und auch dein Bett, denn darauf musst du schlafen.52 Und dieser Tracht wegen sollst du Bärenhäuter heißen.“53 Hierauf verschwand der Teufel. 54 Der Soldat zog den Rock an, griff gleich in die Tasche55 und fand, dass die Sache ihre Richtigkeit hatte. Dann56 hing er die Bärenhaut um, ging in die Welt, war guter57 Dinge und gab das Geld mit vollen Händen aus. Im ersten58 Jahr ging es noch gut, aber in dem zweiten sah er schon59 aus wie ein Ungeheuer. Das Haar bedeckte ihm fast das60 ganze Gesicht, sein Bart glich einem Stück grobem Filztuch,61 seine Finger hatten Krallen, und sein Gesicht war so62 mit Schmutz bedeckt, dass, wenn man Kresse hineingesät63 hätte, sie aufgegangen wäre. Wer ihn sah, lief fort.64 Weil er aber überall den Armen Geld gab, damit sie für65 ihn beteten und weil er alles gut bezahlte, so erhielt66 er doch immer noch Herberge. Im vierten Jahr kam er67 in ein Wirtshaus, da wollte ihn der Wirt nicht aufnehmen68 und wollte ihm nicht einmal einen Platz im Stall geben,69 weil er fürchtete, seine Pferde würden scheu werden.70 Doch als der Bärenhäuter in die Tasche griff und eine71 Handvoll Dukaten herausholte, so ließ der Wirt sich72 erweichen und gab ihm eine Stube im Hintergebäude; doch73 musste er versprechen, sich nicht sehen zu lassen, damit74 sein Haus nicht in bösen Ruf käme. 75 Als der Bärenhäuter abends allein saß und von Herzen76 wünschte, dass die sieben Jahre herum wären, so hörte77 er in einem Nebenzimmer ein lautes Jammern. Er hatte78 ein mitleidiges Herz, öffnete die Türe und erblickte79 einen alten Mann, der heftig weinte. Der Bärenhäuter80 trat näher, aber der Mann sprang auf und wollte entfliehen.81 Endlich, als er eine menschliche Stimme vernahm, ließ82 er sich bewegen, und durch freundliches Zureden brachte83 es der Bärenhäuter dahin, dass er ihm die Ursache seines84 Kummers offenbarte: Sein Vermögen war nach und nach85 geschwunden, er und seine Töchter mussten leiden, und86 er war so arm, dass er den Wirt nicht einmal bezahlen87 konnte und ins Gefängnis sollte gesetzt werden. „Wenn88 Ihr weiter keine Sorgen habt“, sagte der Bärenhäuter,89 „Geld habe ich genug.“ Er ließ den Wirt herbeikommen,90 bezahlte ihn und steckte dem Unglücklichen noch einen91 Beutel voll Gold in die Tasche. 92 Als der alte Mann sich aus seinen Sorgen erlöst sah,93 wusste er nicht, womit er sich dankbar erweisen sollte.94 „Meine Töchter sind Wunder von Schönheit, wähle dir95 eine davon zur Frau. Wenn sie hört, was du für mich96 getan hast, so wird sie sich nicht weigern.“ Dem Bärenhäuter97 gefiel das wohl, und er ging mit zu den Töchtern. Als98 ihn die älteste erblickte, entsetzte sie sich so gewaltig99 vor seinem Antlitz, dass sie aufschrie und fortlief.100 Die zweite blieb zwar stehen und betrachtete ihn von101 Kopf bis zu Füßen, dann aber sprach sie: „Wie kann ich102 einen Mann nehmen, der keine menschliche Gestalt mehr103 hat? Wenn er nur hässlich wäre, so könnte ich mich an104 ihn gewöhnen.“ Die jüngste aber sprach: „Lieber Vater,105 das muss ein guter Mann sein, der Euch aus der Not geholfen106 hat, habt Ihr ihm dafür eine Braut versprochen, so muss107 Euer Wort gehalten werden.“ Es war schade, dass das108 Gesicht des Bärenhäuters von Schmutz und Haaren bedeckt109 war, sonst hätte man sehen können, wie ihm das Herz110 im Leibe lachte, als er diese Worte hörte. Er nahm einen111 Ring von seinem Finger, brach ihn entzwei und gab ihr112 die eine Hälfte, die andere behielt er für sich. In113 ihre Hälfte aber schrieb er seinen Namen, und in seine114 Hälfte schrieb er ihren Namen und bat sie, ihr Stück115 gut aufzuheben. Hierauf nahm er Abschied und sprach:116 „Ich muss noch drei Jahre wandern. Komme ich nicht wieder,117 so bist du frei, weil ich dann tot bin. Bitte aber Gott,118 dass er mir das Leben erhält.“ 119 Die arme Braut kleidete sich ganz schwarz, und wenn120 sie an ihren Bräutigam dachte, so kamen ihr die Tränen121 in die Augen. Von ihren Schwestern wurde sie dafür verspottet.122 „Nimm dich in Acht“, sprach die älteste, „wenn du ihm123 die Hand reichst, so schlägt er dir mit der Tatze darauf.“124 „Hüte dich“, sagte die zweite, „die Bären lieben die125 Süßigkeit, und wenn du ihm gefällst, so frisst er dich126 auf.“ Die Braut schwieg still und ließ sich nicht irremachen.127 Der Bärenhäuter aber zog in der Welt herum, von einem128 Ort zum andern, tat Gutes, wo er konnte, und gab den129 Armen reichlich, damit sie für ihn beteten. Endlich,130 als der letzte Tag von den sieben Jahren anbrach, ging131 er wieder hinaus auf die Heide und setzte sich unter132 den Ring von Bäumen. Nicht lange, so sauste der Wind,133 und der Teufel stand vor ihm und blickte ihn verdrießlich134 an; dann warf er ihm den alten Rock hin und verlangte135 seinen grünen zurück. „So weit sind wir noch nicht“,136 antwortete der Bärenhäuter, „erst sollst du mich reinigen.“137 Der Teufel mochte wollen oder nicht, er musste Wasser138 holen, den Bärenhäuter abwaschen, ihm die Haare kämmen139 und die Nägel schneiden. Hierauf sah er wie ein tapferer140 Soldat aus und war viel schöner als je vorher. 141 Als der Teufel endlich abgezogen war, so war es dem142 Bärenhäuter ganz leicht ums Herz. Er ging in die Stadt,143 tat einen prächtigen Samtrock an, setzte sich in einen144 Wagen mit vier Schimmeln bespannt und fuhr zu dem Haus145 seiner Braut. Niemand erkannte ihn, der Vater hielt146 ihn für einen vornehmen Mann und führte ihn in das Zimmer,147 wo seine Töchter saßen. Er musste sich zwischen den148 beiden ältesten niederlassen. Sie schenkten ihm Wein149 ein, legten ihm die besten Bissen vor und meinten, sie150 hätten keinen schöneren Mann auf der Welt gesehen. Die151 Braut aber saß in schwarzem Kleide ihm gegenüber, schlug152 die Augen nicht auf und sprach kein Wort. Als er endlich153 den Vater fragte, ob er ihm eine seiner Töchter zur154 Frau geben sollte, so sprangen die beiden ältesten auf,155 liefen in ihre Kammer und wollten prächtige Kleider156 anziehen, denn eine jede bildete sich ein, sie wäre157 die Auserwählte. Der Fremde, sobald er mit seiner Braut158 allein war, holte den halben Ring hervor und warf ihn159 in einen Becher mit Wein, den er ihr über den Tisch160 reichte. Sie nahm ihn an, aber als sie getrunken hatte161 und den halben Ring auf dem Grund liegen fand, so schlug162 ihr das Herz. Sie holte die andere Hälfte, die sie an163 einem Band um den Hals trug, hielt sie daran, und es164 zeigte sich, dass beide Teile vollkommen zueinander165 passten. Da sprach er: „Ich bin dein Verlobter, den166 du als Bärenhäuter gesehen hast, aber durch Gottes Gnade167 habe ich meine menschliche Gestalt wieder erhalten.“168 Er ging auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen Kuss.169 Indem kamen die beiden Schwestern in vollem Putz herein,170 und als sie hörten, dass das der Bärenhäuter war, liefen171 sie voll Zorn und Wut hinaus. Die eine ersäufte sich172 im Brunnen, die andere erhängte sich an einem Baum.173 Am Abend klopfte jemand an der Türe, und als der Bräutigam174 öffnete, so war's der Teufel im grünen Rock, der sprach:175 „Siehst du, nun habe ich zwei Seelen für deine eine.“ 

Der Bärenhäuter

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Welche Hindernisse müssen in diesem Märchen bewältigt werden?

Überlege:
Welche Hindernisse muss der Bärenhäuter bewältigen?
Welche Hindernisse muss seine Verlobte bewältigen?

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Warum am Ende nicht alles gut ist

In diesem Märchen geht nicht alles gut aus. Der Teufel sagt am Ende: „Nun habe ich zwei Seelen für deine eine.“ 
Überlege:
Was meint er damit?
Für wen geht das Märchen schlecht aus?
Wofür ist das eine Strafe?
Ist diese Strafe gerechtfertigt?