Eigentlich ist es ganz einfach, oder? Wir bewegen uns in der Wirklichkeit und trĂ€umen nur, wenn wir schlafen. Aber manchmal verwischen die Grenzen zwischen Fantasie und RealitĂ€t, wie beispielsweise in der FantasieerzĂ€hlung. Stelle dir nur einmal vor, dein FĂŒller wĂŒrde sich auf einmal aufrichten und wĂ€re lebendig.
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Schreibender Schrecken
von Julia Tiefenthaler
1 An einem trĂŒben, regnerischen Nachmittag war mir so2 langweilig, dass ich richtig froh darĂŒber war, dass3 wir viele Hausaufgaben hatten: Sogar einen Aufsatz musste4 ich verfassen. Das fand ich aber gar nicht so schlimm,5 schlieĂlich hatte ich zum Geburtstag einen neuen FĂŒller6 bekommen, sodass ich richtig Lust bekam, mit ihm zu7 schreiben. Also machte ich mich fleiĂig wie eine Biene8 in meinem Zimmer ans Werk. 9
Die Arbeit ging mir aber heute irgendwie nicht von10 der Hand. Obwohl ich mich fest konzentrierte, strich11 ich ganze SĂ€tze durch, wieder und wieder. Als ich erneut12 nach dem neuen FĂŒller greifen wollte, spĂŒrte ich nur13 das Holz des Tisches. Ich blickte um mich und sah den14 Stift auf der anderen Seite der Tischplatte. âHmâ, dachte15 ich erstaunt, âhatte ich den Federhalter nicht woanders16 hingelegt? Na jaâ, und machte mir darĂŒber keine Gedanken17 mehr. Aber was war das? Der FĂŒller machte eine kleine18 Bewegung nach rechts! âAch jetzt!â, rief ich aus. Vielleicht19 war der Tisch schief? Ich ĂŒberprĂŒfte meine Ahnung, aber20 der Schreibtisch stand schnurgerade da. âSicher bloĂ21 Einbildung!â, beruhigte ich mich selbst und schrieb22 aufmerksam weiter. Plötzlich war die Patrone leer. Komisch,23 ich hatte doch noch gar nicht so viel gearbeitet. Ich24 nahm den FĂŒllfederhalter in beide HĂ€nde, um ihn auseinanderzuschrauben.25 Da hörte ich ein kleines, aber energisches Stimmchen26 rufen: âWehe, du schraubst mich auf!â Ich schleuderte27 den FĂŒller von mir weg, denn nur er konnte es gewesen28 sein. Wie festgenagelt starrte ich auf ihn. Es geschah29 das Unfassbare: Der FĂŒller richtete sich auf! Mit zornerfĂŒllten30 Augen wankte er auf mich zu. âDafĂŒr wirst du bĂŒĂen!â,31 schrie er wĂŒtend. Er nahm Anlauf, stieĂ sich vom Boden32 ab und raste mit zornverzerrtem Gesicht immer nĂ€her.33 âEr will mir mit der Feder ins Auge stechen! Ich werde34 erblinden! Nein!â, keuchte ich in Todesangst. Ich wich35 gerade noch aus, doch der FĂŒller gab nicht auf. Immer36 wieder versuchte er zu meinem Auge zu gelangen und mit37 jedem Mal wurde mir kĂ€lter und kĂ€lter. AngstschweiĂ38 lief mir gleichzeitig ĂŒber die Stirn. âIch muss einen39 Ausweg finden, irgendwann kriegt er mich!â, japste ich40 und mein Herz klopfte zum Zerspringen. Suchend sah ich41 mich um. Da war nichts auĂer der schweren Pinnwand.42 Blitzschnell hastete ich zu ihr und stieĂ sie um. Genau43 im richtigen Moment. Der FĂŒller steckte leblos mit seiner44 Feder fest im Kork und sein ganzer Körper war von BrĂŒchen45 durchzogen. Vorsichtig pflĂŒckte ich ihn heraus und warf46 die BruchstĂŒcke in den MĂŒlleimer.47
Da kam meine Mutter herein. âWas machst du fĂŒr einen48 LĂ€rm? Sei gefĂ€lligst leiser!â, tadelte sie mich. âStell49 die Pinnwand wieder auf, wenn du sie schon umgeworfen50 hast!â Nachdem sie gegangen war, seufzte ich erleichtert51 auf. âDas war ja mal eine Aufregung! Ich nahm meinen52 alten FĂŒller in die Hand, die noch immer zitterte. Verschwitzt53 schrieb ich mit ihm meinen Deutschaufsatz weiter.§
1. Ăberlege, weshalb es sich dabei um eine Fantasiegeschichte handelt.
Wirklichkeit und Fantasie werden in einer Geschichte miteinander verknĂŒpft. Ein Ding wird lebendig, verhĂ€lt sich aber menschlich â der FĂŒller spricht und zeigt seine GefĂŒhle. Trotz des Einsatzes des fantastischen Elements ist die ErzĂ€hlung in sich logisch aufgebaut und strukturiert.
2. Finde heraus, in welchem Abschnitt die Fantasie eine Rolle spielt.
Die Fantasie kommt nur aktiv im Hauptteil vor. Einleitung und Schluss sind davon ausgenommen.
3. Erstelle einen Schreibplan zu dieser Geschichte, in dem du Ă€uĂeren und inneren Aufbau einzeichnest:
Bei einer FantasieerzĂ€hlung geschehen Dinge, die in Wirklichkeit nicht passieren können. Die Fantasie spielt jedoch nur im Hauptteil eine Rolle. Einleitung und Schluss sind davon ausgenommen. Es dĂŒrfen auch seltsame Wesen wie Zauberer, Hexen oder Riesen auftreten. Tiere und GegenstĂ€nde können sprechen und sich wie Menschen verhalten. In Aufbau und erzĂ€hlerischer und sprachlicher Ausgestaltung gelten die Regeln des ErzĂ€hlens.
Wichtig: Trotz des Einsatzes der Fantasie muss die Handlung in sich logisch und schlĂŒssig sein. Es darf in der Geschichte nur ein Fantasiewesen eingesetzt werden, nicht mehrere.
Wie viel Fantasie soll in deine ErzĂ€hlung? Und an welcher Stelle? Ob man dafĂŒr Regeln braucht, hat in der Deutschredaktion zu einer Diskussion gefĂŒhrt. Höre dir an, was Julia, Veronika und Chris dazu zu sagen haben. Welche Tipps kannst du fĂŒr deine Geschichte daraus ableiten?
FantasieerzÀhlungen lassen dir als ErzÀhler viel mehr Freiheiten als Bildergeschichten. Du musst dich nicht an vorgegebene ErzÀhlschritte halten und kannst deiner Fantasie freien Lauf lassen. Allerdings ist es umso wichtiger, dass du deine ErzÀhlung genau planst, damit du einen Spannungsbogen oder eine ErzÀhlkurve einhÀltst.