Wie unterscheidet sich ein Kunstmärchen von den anderen? In diesem Kapitel findest du das heraus!
Kunstmärchen
Die wilden Schwäne
Erinnerst du dich an dieses Bild aus dem ersten Kapitel? Es spielt auf ein besonderes Märchen an, das du jetzt lesen und hören kannst.
Die wilden Schwäne
von Hans Christian Andersen
Die wilden Schwäne
von Hans Christian Andersen
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Welche Figuren kommen im Märchen vor? Ziehe sie (egal, ob Mensch oder Tier) in den Kasten.
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In diesem Märchen gibt es mehr Figuren als in Volksmärchen. Was fällt dir zudem noch auf?
Wähle alle zutreffenden Merkmale aus.
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Ziehe die Sätze in die richtigen Felder.
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Beantworte die Fragen.
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Ziehe die Sätze in die richtigen Felder.
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Beantworte die Fragen.
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Ziehe die Sätze in die richtigen Felder.
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Beantworte die Fragen.
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Was ist ein Kunstmärchen?
Nun kennst du dich gut mit dem Märchen Die wilden Schwäne aus.
Überprüfe, warum es als Kunstmärchen bezeichnet wird.
Dafür brauchst du zunächst Informationen über Kunstmärchen im Allgemeinen, die du in dem Lexikonartikel unten findest. Diesen Artikel kannst du nach dem ersten Lesen mit den Aufgaben darunter genauer untersuchen.
Lexikonartikel Kunstmärchen
Lexikonartikel Kunstmärchen
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Lies den Absatz. Beantworte dann die Aufgabe.
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Lies den Absatz noch einmal. Ziehe dann die Wörter in die passenden Felder.
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Lies nun den zweiten Absatz. Welche Aussage ist richtig? Wähle sie aus.
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Lies den nächsten Absatz. Ziehe die vier Aussagen in das passende Feld.
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Lies die Aussage. Wähle dann, ob sie richtig oder falsch ist.
In Kunstmärchen werden die Figuren viel genauer dargestellt als in Volksmärchen. Darum haben die Kunstmärchen-Figuren manchmal auch Namen und heißen nicht nur Schneider oder König.
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Lies Absatz Nummer 4. Beantworte dann die Frage.
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Wie heißen die Sätze richtig? Vervollständige den Merksatz zu Kunstmärchen. Ziehe die Wörter in an ihre richtige Stelle.
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Merkmale des Kunstmärchens in „Die wilden Schwäne“
Nun kennst du die Merkmale eines Kunstmärchens. Ob sie auf das Märchen der wilden Schwäne zutreffen, kannst du jetzt überprüfen.
Was trifft auf den Beginn des Märchens Die wilden Schwäne zu? Wähle aus.
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Was trifft auf den Hauptteil zu? Wähle aus.
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Was trifft auf den letzten Teil des Märchens zu? Wähle aus.
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Was trifft auf die Handlung zu? Wähle aus.
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Ist die Figur Elisa komplex? Je mehr Häkchen du setzen kannst, desto komplexer ist die Figur.
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Bei welchen Figuren erfahren wir beim Lesen etwas über ihre inneren Konflikte, also was sie traurig macht oder warum sie sich so verhalten?
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Klicke auf das Gesicht, um deine Antwort abzugeben.
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Vergleiche Volksmärchen und Kunstmärchen
Nutze dein Wissen über Volksmärchen nun, um sie mit den Volksmärchen zu vergleichen. Überlege dir, wie sie sich unterscheiden im Hinblick auf Urheberschaft, Aufbau und Figuren.
Hier findest du das Arbeitsblatt zum Ausdrucken.
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Mehr zu den Figuren in „Die wilden Schwäne“
Nachdem du dich nun mit Kunstmärchen und ihren Merkmalen in Die wilden Schwäne beschäftigt hast, bleiben noch ein paar Fragen zum Märchen selbst. Diese Aufgaben könnt ihr in Partnerarbeit erledigen.
Untersucht eine Figur genauer
Wählt eine Figur aus und beschreibt sie genauer, indem ihr euch Notizen zu den Fragen macht.
- Welche Eigenschaften kann man der Figur zuordnen? Findet passende Adjektive, z. B. gut, fromm, stark, schwach, hinterhältig ...
- Wie verhält sich die Figur im Laufe der Handlung? Verändert sie durch ihr Verhalten das Geschehen?
- Gibt es Stellen, an denen sich die Figur anders verhalten hätte können? Wie hätte sich dadurch die Handlung verändert?
Bereitet nun ein Rollenspiel für zwei Figuren vor. Wählt dafür eine Szene aus den Bildern aus, verteilt die Rollen und überlegt euch, was ihr dem anderen sagen könnt. Dann führt das Rollenspiel durch.
Zusatzangebot
Möchtest du noch ein weiteres Kunstmärchen lesen? Hier findest du eines, das sehr berühmt geworden ist.
Das hässliche Entlein
Hans Christian Andersen
Das hässliche Entlein
Hans Christian Andersen
Draußen auf dem Land war es herrlich. Es war Sommer; gelb stand das Korn, grün der Hafer; auf den Wiesen drunten war das Heu auf Haufen aufgesetzt; und da spazierte der Storch auf seinen langen roten Beinen und klapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Mutter gelernt. Große Wälder erstreckten sich rings um den Acker und die Wiesen, und mittendrin lagen tiefe Seen. O, es war herrlich, da draußen auf dem Land!
Mitten im warmen Sonnenschein lag da ein alter Herrenhof, von tiefen Kanälen umgeben, und von dessen Mauern an bis hinab zum Wasser wuchsen grüne Klettenstauden, die so hoch waren, dass unter den größten ihrer Blätter kleine Kinder aufrecht stehen konnten. Es war so wild hier wie im tiefsten Wald.
Da saß eine Ente in ihrem Nest auf ihren Eiern; aber sie war nun schon ein wenig verdrießlich, weil es gar so lange dauerte, bis die Jungen ausschlüpften, und sie nur selten Besuch bekam.
Endlich platzte ein Ei nach dem anderen. »Piep, piep!«, erklang es. Alle Eidotter waren lebendig geworden und streckten die Köpfchen heraus. »Rapp, rapp, eilt, eilt!«, rief die alte Ente, und da rappelten und beeilten sich die Jungen aus Leibeskräften und guckten unter den grünen Blättern nach allen Seiten umher.
»Ach, wie groß ist die Welt!«, sagten alle Jungen. Jetzt hatten sie freilich ganz anders Platz, als da sie noch drinnen im Ei lagen. »Meint ihr, das sei die ganze Welt?«, sagte die Mutter. »O nein, sie erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens hin, ja bis an den Zaun; dort bin ich freilich noch nie gewesen! – Nun seid ihr wohl alle da?«, fügte sie hinzu und erhob sich. »Ach nein, es sind noch nicht alle! Das größte Ei liegt immer noch da. Wie lang soll denn das noch dauern? Nun habe ich es wirklich bald satt!« Darauf setzte sie sich wieder.
»Nun, wie geht's?«, fragte eine alte Ente, die sie besuchen kam.
»Mit dem einen dauert es gar so lange«, sagte die brütende Ente. »Es zeigt sich noch immer kein Loch darin, aber sieh dir nur die anderen an. Das sind wirklich die niedlichsten Entlein, die ich je gesehen habe.«
»Lass mich doch das eine sehen, das nicht platzen will«, erwiderte die Alte. »O, das ist ein Putenei; du kannst dich darauf verlassen! So bin ich auch einmal angeführt worden und hatte meine liebe Not mit den Jungen; denn sie fürchteten sich vor dem Wasser. Ich konnte sie gar nicht hineinbringen, so viel ich auch rappte und schnappte; es half alles nichts! Lass es nur liegen und lehre lieber deine anderen Kinder schwimmen.«
»Ein Weilchen will ich doch noch darauf sitzen bleiben«, entgegnete die Ente. »Habe ich nun so lange gesessen, so kommt es auf ein Weilchen auch nicht mehr an.«
»Ganz nach Belieben«, sagte die alte Ente und darauf verabschiedete sie sich.
Endlich platzte das große Ei. »Piep, piep!«, sagte das Junge und kroch heraus. Es war sehr groß und auffallend hässlich. Die alte Ente betrachtete es: »Das ist ja ein schrecklich großes Entlein«, sagte sie, »keines von den anderen sieht so aus. Sollte es wirklich eine junge Pute sein? Nun, das werden wir bald sehen. Ins Wasser muss es, und wenn ich es selbst hineinstoßen müsste.«
Am nächsten Tag war herrliches Wetter. Die Sonne strahlte hell auf all die grünen Kletten. Die Entleinmutter erschien mit ihrer ganzen Familie am Kanal. Platsch! sprang sie ins Wasser. »Rapp, rapp!«, rief sie, und ein Entlein nach dem anderen plumpste hinein. Das Wasser schlug über ihnen zusammen, aber sie tauchten gleich wieder auf und schwammen nun stolz dahin; selbst das hässliche graue Junge schwamm mit.
»Nein, das ist keine Pute«, sagte die alte Ente, »man braucht nur zu sehen, wie hübsch es die Beine gebraucht und wie gerade es sich hält. Nein, es ist mein eigenes Kind. Eigentlich ist es ganz hübsch, wenn man es genau betrachtet. Rapp, rapp! Kommt jetzt mit mir, dann werde ich euch in die Welt einführen und euch im Entenhofe vorstellen.«
So kamen sie auf den Entenhof. Drinnen war ein schrecklicher Lärm.
»Seht, so geht es in der Welt zu«, sagte die Entenmutter und wetzte ihren Schnabel. »Nun gebraucht eure Beine; seht zu, dass ihr euch beeilt, und neigt den Hals vor der alten Ente dort! Sie ist die vornehmste von allen hier. In ihren Adern rollt spanisches Blut. Wie ihr seht, trägt sie einen roten Lappen um das Bein; das ist etwas besonders Schönes und die höchste Auszeichnung, die einer Ente zuteilwerden kann. Es bedeutet, dass man sie nicht verlieren will und dass sie von Tieren und Menschen gleich erkannt werden soll. Rappelt euch, beeilt euch! Ein wohlerzogenes Entlein setzt die Füße auswärts, gerade wie Vater und Mutter. Seht, so! Und nun neigt eure Hälse und sagt ›rapp‹!«
Das taten die jungen Entlein; aber die anderen Enten ringsumher betrachteten sie und sprachen: »Ei, ei, nun sollen wir diese Sippschaft auch noch hier haben, als ob wir nicht vorher schon genug gewesen wären! Pfui, wie sieht das eine Entlein aus! Das wollen wir nicht unter uns dulden!« Und sogleich flog eine Ente hin und biss es in den Nacken.
»Lasst es in Ruhe!«, sagte die Mutter. »Es tut ja niemand etwas zuleid!«
»Ja, aber es ist so groß und seltsam«, erwiderte die Ente, die es gebissen hatte, »und deshalb muss es gepufft werden.«
»Ihr habt ja recht hübsche Kinderchen, Mütterchen«, sagte die alte Ente mit dem Lappen um den Fuß. »Sie sind alle recht hübsch, mit Ausnahme des einen, das ist missglückt! Ich wollte, ihr könntet es noch einmal ausbrüten.«
»Das geht nicht, Ihro Gnaden«, sagte die Entenmutter. »Es ist allerdings nicht hübsch, aber es hat ein sehr gutes Herz und schwimmt ebenso gut wie die anderen, ja fast noch besser. Ich denke, es wird mit der Zeit schon in seine Größe hineinwachsen. Es hat nur zu lange im Ei gelegen und deshalb die rechte Gestalt nicht bekommen.«
Dabei zupfte sie es im Nacken und glättete sein flaumiges Gefieder.
So waren sie nun zu Hause auf dem Entenhof.
Aber das arme Entlein, das zuletzt aus dem Ei gekrochen und so hässlich war, wurde gebissen, gepufft und von den Enten wie von den Hühnern gehänselt. »Es ist zu groß«, sagten sie einstimmig. Und der Puterhahn, der mit Sporen auf die Welt gekommen war und sich deshalb einbildete, er sei ein Kaiser, blies sich wie ein Schiff mit vollen Segeln auf, ging gerade auf das arme Entlein zu, und dann kollerte er und bekam einen feuerroten Kopf. Das hässliche Entlein wusste nicht, wo es stehen oder gehen sollte; es war tief betrübt, dass es so hässlich aussah und von dem ganzen Entenhof verspottet wurde.
So ging es am ersten Tag, und später wurde es immer schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister sagten immer: »Wenn dich nur die Katze holen würde! Du hässliches Ding!«
Ja, selbst die Mutter seufzte: »Wärest du nur weit fort!«
Die Enten bissen es; die Hühner hieben mit dem Schnabel auf es ein, und die Magd, die die Tiere fütterte, stieß es mit dem Fuß weg.
Da lief es fort und flog über den Zaun, wo die Vöglein erschrocken von den Büschen aufflogen.
»Ach, auch daran ist meine Hässlichkeit schuld!«, dachte das Entlein und kniff die Augen zusammen, lief aber trotzdem weiter. So gelangte es bis zu dem großen Moor, wo die Wildenten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht hindurch; denn es war sehr müde und kummervoll.
Gegen Morgen flogen die Enten auf und entdeckten den neuen Kameraden. »Wer bist du denn?«, fragten sie, und das Entlein drehte sich und grüßte nach allen Seiten, so gut es konnte.
»Du bist ja schrecklich hässlich!«, sagten die Wildenten. »Aber das ist uns einerlei, wenn du nur nicht in unsere Familien hinein heiratest.«
Ach, das arme Entlein dachte wahrlich nicht ans Heiraten. Es war ganz zufrieden, wenn es nur die Erlaubnis erhielt, im Schilf zu liegen und Moorwasser zu trinken.
Schon zwei Tage hatte es nun dagelegen, als zwei Wildgänse, oder vielmehr Gänseriche, dorthin kamen. Sie waren noch nicht lange aus dem Ei gekrochen und deshalb auch etwas vorlaut.
»Höre, Kamerad, du bist so hässlich, dass du uns gerade dadurch gefällst. Willst du zu uns halten und Zugvogel sein? Hier ganz in der Nähe, in einem anderen See, wohnen einige allerliebste Wildgänschen, lauter Fräulein, die reizend ›rapp, rapp‹ sagen können. Dort kannst du vielleicht dein Glück machen, so hässlich du auch bist!«
»Piff, paff!«, knallte es plötzlich und die beiden Wildgänseriche fielen tot ins Schilf und das Wasser färbte sich ringsherum blutrot.
»Piff, paff!«, knallte es abermals, und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf. Wieder und wieder knallte es. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moor herum. Der blaue Pulverdampf zog wie Wolken in die dunklen Bäume hinein und weit über das Wasser hin. Nun kamen die Jagdhunde. Welch ein Schrecken für das arme Entlein!
Es drehte den Kopf, um ihn unter die Flügel zu stecken; aber in demselben Augenblick stand ein fürchterlich großer Hund vor ihm; die Zunge hing ihm lang aus dem Hals heraus, und seine Augen funkelten entsetzlich. Er berührte das Entlein fast mit der Schnauze, wies seine scharfen Zähne und – platsch, platsch! zog er sich wieder zurück, ohne es zu packen.
»Gott sei Dank!«, seufzte das Entlein. »Ich bin so hässlich, dass mich selbst der Hund nicht beißen mag.«
So lag es denn ganz still, während die Schrotkörner durch das Schilf sausten und Schuss auf Schuss knallte.
Erst am späten Nachmittag wurde es ringsum ganz still; aber selbst dann wagte das arme Entlein noch nicht sich zu erheben. Es wartete noch mehrere Stunden, ehe es sich umschaute, und dann eilte es, so schnell es konnte, aus dem Moor fort. Es lief über Wiesen und Felder, und dabei war ein solcher Sturm, dass es kaum vorwärtskommen konnte.
Gegen Abend erreichte es ein ärmliches Bauernhäuschen, das so baufällig war, dass es selbst nicht wusste, nach welcher Seite es fallen sollte, und deshalb blieb es stehen. Aber nun brauste der Sturm draußen und es wurde immer noch schlimmer. Da bemerkte das Entlein, dass die Türe aus einer Angel herausgehoben war und nun so schief hing, dass es gerade durch die Spalten in die Stube hineinschlüpfen konnte, und das tat es.
Hier wohnte eine alte Frau mit ihrer Katze und ihrer Henne. Die Katze, die sie »Söhnchen« nannte, konnte einen krummen Buckel machen und schnurren, ja sie konnte sogar Funken sprühen, wenn man ihr im Dunkeln über die Haare strich. Das Huhn hatte kleine, niedrige Beine und wurde deshalb »Hinkebeinchen« genannt. Sie legte fleißig Eier. Die Frau liebte die Tiere wie ihre eigenen Kinder.
Am nächsten Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein. Die Katze begann zu schnurren und das Huhn zu glucksen.
»Was ist das?«, rief die Frau und schaute sich um. Da sie aber nicht gut sah, hielt sie das Entlein für eine fette Ente, die sich verirrt hatte. »Das ist ja ein seltener Fang«, sagte sie. »Nun kann ich Enteneier bekommen; wenn es nur kein Enterich ist, das müssen wir erproben.«
So wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe genommen. Aber es kamen keine Eier.
»Kannst du Eier legen?«, fragte die Henne.
»Nein!«
»Nun, dann halte auch deinen Mund!«
Und die Katze sagte: »Kannst du einen krummen Buckel machen? Kannst du schnurren? Kannst du Funken sprühen?«
»Nein!«
»Dann darfst du auch keine eigene Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!«
Das Entlein saß im Winkel und war schlechter Laune. Unwillkürlich dachte es an die freie Luft und den Sonnenschein, und da überkam es eine so eigentümliche Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, dass es zuletzt nicht mehr schweigen konnte, sondern mit der Henne darüber sprach.
»Was fällt dir ein?«, sagte diese. »Du hast nichts zu tun, deshalb kommst du auf so sonderbare Ideen. Lege Eier oder schnurre, dann gehen sie vorüber!«
»Ihr versteht mich nicht«, sagte das Entlein. »Ich denke, ich will in die weite Welt hinaus.«
»Ja, das tue nur«, entgegnete das Huhn.
Darauf ging das Entlein fort. Es schwamm auf dem Wasser; es tauchte unter; aber von allen Tieren wurde es wegen seiner Hässlichkeit übersehen.
Nun wurde es Herbst; die Blätter im Wald wurden gelb und braun; die Kälte nahm überhand. Schwere Wolken hingen am Himmel. Ja, es fror einen schon, wenn man nur daran dachte. Dem armen Entlein ging es wirklich nicht gut.
Eines Abends – die Sonne ging gerade wunderschön unter – kam ein Schwarm großer prächtiger Vögel, wie sie das Entlein noch nicht gesehen hatte. Sie waren blendend weiß und hatten lange, geschmeidige Hälse: Es waren Schwäne. Sie stießen einen sonderbaren Laut aus, erhoben ihre prächtigen, großen Schwingen und flogen aus der kalten Gegend fort nach den warmen Ländern. Sie stiegen so hoch, dass dem hässlichen jungen Entlein ganz merkwürdig dabei zumute wurde. Wie ein Rad drehte es sich im Wasser herum, streckte den Hals nach ihnen aus und stieß einen so eigentümlichen Schrei aus, dass es sich ordentlich vor sich selber fürchtete. Zwar wusste es nicht, wie die Vögel hießen, noch wohin sie zogen, aber es hatte sie so innig lieb gewonnen wie nie jemand zuvor.
Es wurde ein bitterkalter Winter. Das Entlein musste unermüdlich im Teich umherschwimmen, um das Einfrieren zu verhindern. Aber jede Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. Endlich war es völlig erschöpft, lag ganz still da und fror so im Eise fest.
Am nächsten Morgen kam ein Bauer vorbei und sah das arme Tier. Er ging hin, zerschlug das Eis mit seinem Holzschuh, nahm das Entlein heraus und trug es heim zu seiner Frau. Da lebte es wieder auf.
Die Kinder wollten mit ihm spielen. Aber das Entlein glaubte, sie wollten ihm ein Leid zufügen, und fuhr in der Angst gerade in die Milchschüssel, sodass die Milch in der Stube umherspritzte. Die Frau schlug entsetzt die Hände zusammen, und nun flog das Entlein zuerst in das Butterfass, dann von hier in die Mehltonne hinein und dann wieder in die Höhe. O weh, wie sah es aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange nach ihm; die Kinder rannten einander über den Haufen. Zum Glück stand die Türe offen, so konnte sich das Entlein zwischen die Sträucher in den frisch gefallenen Schnee hinaus retten, und da lag es nun zum Tode erschöpft.
Aber es wäre wirklich zu traurig, all die Not und das Elend zu erzählen, die das Entlein in dem harten Winter erdulden musste. –
Es lag zwischen dem Schilf im Moor, als die Sonne wieder zu scheinen begann, als die Lerchen sangen und es Frühling wurde.
Da konnte es mit einem Mal seine Flügel ausbreiten. Stärker rauschten sie als je zuvor und trugen es kräftig von dannen. Und ehe das Entlein recht wusste, wie ihm geschah, befand es sich in einem großen Garten, wo die Apfelbäume in voller Blüte standen, wo die Fliedersträucher dufteten und ihre langen grünen Zweige über die sich sanft dahinschlängelnden Bäche und Kanäle ausstreckten. O wie schön war es hier!
Und gerade vor ihm kamen aus dem Dickicht drei große schöne Schwäne angeschwommen. Sie rauschten mit ihren Flügeln und glitten leicht und anmutig über das Wasser hin. Das Entlein erkannte die prächtigen Tiere und wurde von einer eigentümlichen Traurigkeit ergriffen.
»Ich will zu ihnen hinfliegen, zu diesen königlichen Vögeln. Sie werden mich freilich totbeißen, weil ich, das hässliche Tier, es wage, mich ihnen zu nähern; aber meinetwegen! Besser von ihnen getötet, als von den Enten gezwickt, von den Hühnern gepickt, von der Hühnermagd gestoßen zu werden und im Winter Mangel leiden zu müssen!« Damit flog es auf das Wasser und schwamm den prächtigen Tieren entgegen. Als diese das Entlein erblickten, schossen sie mit gesträubten Federn darauflos.
»Ja, tötet mich nur!«, sagte das arme Tier, senkte den Kopf auf den Wasserspiegel und erwartete den Tod – aber was sah es in dem klaren Wasser? Es sah unter sich sein eigenes Bild: Allein es war kein plumper, schwarzer, hässlicher Vogel mehr; es war selbst ein Schwan.
Es tut nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!
Die großen Schwäne umschwammen es und streichelten es mit ihren Schnäbeln. Nun kamen einige kleine Kinder in den Garten. Sie warfen Brot und Korn in das Wasser, und das jüngste rief: »Da ist ein neuer!« Da jubelten die anderen Kinder, sie klatschten in die Hände, tanzten umher und holten Vater und Mutter herbei. Es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen, und sie sagten alle: »Der neue ist der schönste, so jung und majestätisch!« Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.
Da fühlte sich der junge Schwan ganz beschämt und verbarg den Kopf unter den Flügeln. Es war ihm so sonderbar zumute, er wusste selbst nicht wie; er war allzu glücklich, aber durchaus nicht hochmütig, denn ein gutes Herz wird nie und niemals hochmütig. Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden war, und dass nun alle sagten, er sei der schönste von allen schönen Vögeln. Da sträubte er sein Gefieder, erhob den schlanken Hals und jubelte aus vollem Herzen: »So viel Glück hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das hässliche Entlein war!«
Hier findest du den Lesetext zum Ausdrucken.
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